20.1.06

"Du bist verfressen!": ID Pool # 20


Aus einem Albtraum: ich träumte von einer Pferdemetzgerei. Der Schlächter mit Namen "Schach Matt" hatte mich mit stundenlangen Werbetexten eingelullt und drohte mir mit dem Messer, wenn ich nicht damit einverstanden wäre, mein Gesicht für so eine Plakatwand ("Du bist Deutschland") zur Verfügung zu stellen. Natürlich haben die Werbefuzzis das schrecklichste aller Fotos von mir ausgesucht, ich schiebe mir gerade einen dreifachen Wini rein.
"Du bist verfressen!", wäre auch eine schöne Unterschrift. Ich erinnere mich an die Email, die mir zugespielte wurde:

"Meine Mutter hat mir beigebracht, dass man sich für ein Geschenk bedankt, selbst wenn man damit nichts anfangen kann. Wie Recht sie hatte, ist mir gerade wieder klar geworden.

Vor zwei Wochen startete 'Du bist Deutschland', die größte gemeinnützige Kampagne aller Zeiten und ein riesiges Geschenk. Die großen Verlage haben Zeit und Raum im Wert von 35 Millionen Euro geschenkt. 30 Promis der ersten Liga haben Zeit und ihr Gesicht geschenkt. Wir und Kempertrautmann haben Zeit und Herzblut geschenkt.

Das Ziel: Die Miesepetrigkeit bekämpfen.
Der Dank: Miesepetrigkeit. Glücklicherweise nur von den Gruppen, von denen man nichts besseres erwarten konnte:

1. Von den Werbekollegen, die sich in den Branchenblättern eifrig zu Wort meldeten. Viele von ihnen finden die Kampagne nutzlos, 'weil Werbung doch nicht das gegeignete Mittel sein kann, eine Nation wirtschaftlich wieder nach vorn zu bringen'. Nicht gut, wenn unsere Branche selber nicht mehr an die Kraft von Kommunikation glaubt.
2. Von den Weblogs, den Klowänden des Internets. (Was berechtigt eigentlich jeden Computerbesitzer, ungefragt seine Meinung abzusondern? Und die meisten Blogger sondern einfach nur ab. Dieser neue Tiefststand der Meinungsbildung wird deutlich, wenn man unter www.technorati.com eingibt: Du bist Deutschland.)
3. Von den intellektuellen Journalisten von FAZ bis TAZ, die ihre Meinung zwar insofern gefragt absondern als sie eine nachweisbare Leserschaft haben, aber: 'Den Höhepunkt an Zynismus gewinnt die Kampagne aber in dem Fernsehspot, der Schwule und Behinderte auf dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals versammelt' (Die Zeit).

Blöd, wenn man soviel Kopf hat, dass einem jedes Bauchgefühl verloren gegangen ist.
Übrigens: Sebastian Turner findet die Kampagne einfach nur falsch.
Falsch, was ist das? Auch nach dem 50. Mal gucken, bin ich von dem TV-Spot immer noch berührt bis ergriffen - obwohl ich nicht einmal Deutschland bin.

Kann das falsch sein?
Euer Jean-Remy"

Ich schreibe meine Antwort, die ganzseitig in allen überregionalen Zeitungen erscheint.
Offener Brief an den Geschäftsführer einer noch nicht ganz unbedeutenden Deutschen Werbeagentur:

"Lieber Jean-Remy von Matt,
direkt von meiner "Klowand" ein Artikel nur für dich: "Auf der Toilette habe ich immer die besten Ideen. Ich habe mir zwar vorgenommen, dies nicht mehr zu erzählen, weil es mir ein Lebensmittelkunde nie verzieh, als ich öffentlich sagte, die Idee für seine Werbung hatte ich auf dem WC." (Quelle persoenlich.com) Aha, du kennst dich also mit Klowänden aus, pinselst wahrscheinlich selbst von ihnen ab und tust hinterher so, als wäre es deine Idee gewesen. Deine Durchhalteparole an die eigenen Reihen (nimm das Geld und finde alles toll) sind rührend. Aber mit fetten Etats lassen sich fettere Feten feiern, auch wenn diese meist schamlos von dir ausgenutzt werden: "Natürlich war das Fest ein rauschender Erfolg. Und natürlich ließ es sich Jean-Remy von Matt nicht nehmen, statt einer Rede wie immer Vom Himmel hoch ... auf der Blockflöte zu spielen. Was langjährige Ohrenzeugen des Rituals zu dem Urteil kommen ließ, dass der Chef leider mit den Jahren nicht besser werde." (Quelle: Die Zeit online) Nimm die Kohle, kauf dir einen zweiten Hubschrauber und stürz irgendwo ab! "Ich werde auf eure Gräber spucken"!
Noch schöner fände ich: Alle von Jung von Matt beworbenen Produkte sofort zu meiden.
Am 26.4.05 wurde die Marke von 50.000 Weblogs überschritten (Quelle: ringfahndung.de), mittlerweile sind es Millionen (!) - genug Kunden also um Druck auszuüben – schlimmer, schreibende Konsumenten sind die Angst eines jeden deiner Kunden.
Wir – die Underdogs aus Friedenau - werden deine Fraktion von Fußballern aus Berlin in der Medienliga wieder wegputzen (ich habe für das Spiel die Parole ausgegeben: "Sieg oder Spielabbruch"), denn ich lasse mich nicht von einem dahergelaufenen Schweizer, (oder Belgiern: Quelle: focus online ) als Klowandbeschmierer beschimpfen.
Lauf dich schon mal warm!
Übrigens werden in absehbarer Zeit die Blogs als Werbetool, da bin ich mir sicher, auch von JvM benutzt werden...

Unsere Leserschaft wächst."
Dann bin ich aufgewacht und habe mich über meine Radikalität gewundert. Verdient es diese Kampagne ("DBD" oder besser DBDDHKP) und der selbst-gefällige Werbeboss überhaupt ernst genommen zu werden, habe ich mich hinreißen lassen?

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